Nachhaltigkeit auf der Spur: engagieren und integrieren

Michael Dittrich, Susanne Ballauff
Michael Dittrich, Susanne Ballauff

Nachhaltigkeit gewinnt in der institutionellen Kapitalanlage an Bedeutung. Immer mehr Investoren beziehen soziale, ethische und ökologische Kriterien in ihre Anlagepolitik ein. Den meisten Unternehmen mangelt es hingegen an einer Klimastrategie. Zu diesem traurigen Fazit kommt Oekom Research in ihrem Corporate Responsibility Review­ 2016, für den 1.600 international tätige Großunternehmen aus Industrieländern analysiert wurden. Nur rund 16 Prozent der Unternehmen weltweit erfüllen die Mindestanforderungen der Rating-Agentur an Nachhaltigkeitsmanagement und -leistungen. Der Anteil an Prime-Unternehmen ist damit genauso niedrig wie im Vorjahr. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Was bringt Engagement von institutionellen Investoren, wenn sich doch nichts ändert?

„Nichts“ wäre trotz der ernüchternden Zahlen von Oekom Research sicherlich die falsche Antwort. Denn im Kleinen tut sich schon etwas. Zumindest der Anteil der als schlecht bewerteten Unternehmen ging leicht von 50 auf 48 Prozent zurück. „Es bewegt sich etwas. Das Engagement von institutionellen Anlegern nimmt zusehends Fahrt auf. Wir bekommen jedes Jahr Erfolgsmeldungen – auch wenn es nicht immer die ganz großen Dinge sind und die Öffentlichkeit vielleicht nicht erreichen“, berichtete Klaus Bernshausen, Vorstand der Evangelischen Ruhegehaltskasse (ERK) in Darmstadt, auf der Jahreskonferenz von portfolio institutionell während einer Panel-Diskussion. Bei der Kasse­ müssen Geldanlagen im Einklang mit dem kirchlichen Auftrag, nämlich dem Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung, stehen. ­Angesichts dessen wird schon seit vielen Jahren Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage großgeschrieben. Auch auf Engagement wird in Darmstadt viel Wert gelegt. Mit über 500 verschiedenen Aktientiteln im Portfolio ist es Bernshausen jedoch nicht möglich, Stimmrechte selbst auszuüben oder jedes Unternehmen einmal im Jahr zu besuchen.

Um sich dennoch entsprechend zu engagieren, hat sich die Ruhegehaltskasse mit drei anderen kirchlichen Einrichtungen zusammengetan und BMO (früher F&C) mit der Stimmrechtausübung für ihr Aktienvermögen von einer Milliarde Euro beauftragt. „BMO hat in London eine Abteilung mit 15 Mitarbeitern, die nichts anderes ­machen, als die Stimmrechte für Investoren auszuüben und mit Unternehmen bestimmte Themen durchzusprechen. In regelmäßigen Reports werden wir dann informiert, mit wem über was gesprochen wurde und wie abgestimmt wurde“, erläuterte Bernshausen. Insgesamt vertritt BMO rund 70 Milliarden Euro Aktiva Dritter weltweit. Die erzielten Fortschritte seien oft eher klein. Sie betreffen beispielsweise Themen wie die Zusammensetzung des Boards, Veränderungen in der Vergütungsstruktur oder einfach die Ermutigung zu einem Nachhaltigkeitsbericht. Um noch größere Erfolge zu feiern, wünscht sich Bernshausen mehr Engagement von der Asset-Manager-Seite. „Wenn mehr und mehr Asset Manager in ihren Analystengesprächen bei den Unternehmen diese Themen ansprechen würden, bliebe den Unternehmen nichts anderes übrig, als sich damit zu beschäftigen. Dann wären es nicht nur kirchliche Anleger, die aus ihrem Selbstverständnis heraus etwas bewegen wollen. Es sollte eine noch breitere Bewegung werden, als es jetzt schon ist“, so Bernshausen.

Mit seinen Worten rennt der ERK-Vorstand bei Wellington offene Türen ein. Die Amerikaner zählen zu den fast 1.000 Investment Managern, die die Prinzipien der Vereinten Nationen für nachhaltiges und verantwortungsvolles Investment unterzeichnet haben. „Wir ­haben lange gebraucht, bis wir unterzeichnet haben. Wir wollten ­einen holistischen Ansatz und sicherstellen, dass alle unsere Fondsmanager entsprechend sensibilisiert sind und die Nachhaltigkeitskriterien in ihren Investmentprozessen berücksichtigen. Ein integriertes ESG-Team unterstützt sie dabei. Nachhaltig­keit soll ein integraler Baustein des Investmentprozesses sein und ist es heute auch“, erläuterte Susanne Ballauff, Leiterin der deutschen Niederlassung von Wellington Management. An die große Glocke will man dies jedoch nicht hängen. „Unsere Philosophie ist, nicht nach außen aufzutreten, sondern in den Dialog mit den Unternehmen zu gehen. Das machen wir gern hinter verschlossenen Türen“, so Ballauff. Angesichts der Bemühungen um Diskretion verzichtet sie auf ein konkret beim Namen genanntes Beispiel, führt zur Veranschaulichung jedoch einen Fall aus dem Krankenhaussektor in den USA an: „Wir haben nicht verstanden, wie sich das Board zusammensetzt. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen ohne entsprechende Qualifikationen. Wir sind dann in einen Dialog mit dem Managementteam der Firma getreten. Die Firma hat dann die Zusammensetzung ihres Vorstandes überdacht, einige Leute ausgetauscht und die Vergütungsstrukturen angepasst. Das ist die Ebene, auf der wir viele Gespräche führen und versuchen, positive Änderungen herbeizuführen.“ Darüber hinaus übt Wellington seine Stimmrechte aus. „Damit kann man an der ein oder anderen Stelle Änderungsprozesse in Gang setzen. Man kann sehr viel bewirken, aber Schritt für Schritt“, fügte Ballauff hinzu.

In Deutschland macht sich auch Union Investment im Bereich Engagement verdient. Jährlich werden mehr als 4.000 Gespräche mit Unternehmen geführt und circa 1.000 Proxy-Voting-Rechte wahrgenommen. Global kommen auf diese Nachhaltigkeitsstrategie, die auf die Beeinflussung von Unternehmen abzielt, laut der Global Sustainable Investment Alliance (GSIA) rund sieben Billionen Dollar. Diese Daten sind jedoch mit etwas Vorsicht zu genießen, da sie von Ende 2014 stammen. Das Volumen dürfte heute höher liegen. Die global stärkste Strategie stellten Ausschlusskriterien mit über 14 Billionen Dollar dar, dicht gefolgt von der ESG-Integration mit fast 13 Billionen Dollar. Die Verhältnisse könnten sich inzwischen bereits verschoben haben. So ist Dr. Axel Hesse, Geschäftsführer der SD-M GmbH, überzeugt, dass sich ESG-Integration als stärkste Nachhaltigkeitsstrategie durchsetzen wird: „Letztlich passt sie von allen Strategien am besten zur DNA der Finanzmärkte im Mainstream. Denn es geht hier darum, Nachhaltigkeitsindikatoren beziehungsweise -risiken explizit Performance-orientiert in traditionelle Finanzanalyse und Investmentprozesse einzubeziehen.“ Für 68 Branchen hat Hesse 2010 im Auftrag des Bundesumweltministeriums die jeweils drei relevantesten Nachhaltigkeitsindikatoren für die Geschäftsentwicklung identifiziert. „In jeder Branche sind es andere Nachhaltigkeitsindikatoren (SD-KPIs), die für die Geschäftsentwicklung und damit für die Finanz­performance relevant sind. Wir haben diese zunächst für 2010 bis 2015 ermittelt, um eine gewisse Stabilität für Investoren und ­Unternehmen zu gewährleisten. Derzeit finalisieren wir den SD-KPI Standard 2016 bis 2021“, erläuterte Hesse. Zur Veranschaulichung zog er die Automobilbranche heran, in der die Flottenemissionen der SD-KPI 1 ist: „Standard & Poor’s hat berechnet, dass Zusatzkosten in Höhe von 600 bis 3.000 Euro pro Automobil entstanden, um die neuen­ EU-Emissionsstandards zu erfüllen. Der VW-Dieselgate ist derzeit mit bis zu 50 Milliarden Euro an Zusatzkosten taxiert. Aus den Daten konnte man zwar nicht genau den Skandal vorhersehen, aber man konnte sehen, dass sich VW bei den Flottenemissionen zuletzt schlechter entwickelte als BMW oder Daimler. VW wurde somit bereits vor dem VW-Dieselgate untergewichtet.“ Auf Portfolioebene zeigt sich die Performance-Wirkung von SD-KPIs anhand des iStoxx Europe 600 SD-KPI. Als Ausgangsindex dient der Stoxx Europe 600. Dessen Titel werden nach SD-KPIs bewertet und in Quintilen um 50, 25 und null Prozent über- beziehungsweise untergewichtet. „Von Anfang 2008 bis Ende März 2016 haben wir beim iStoxx Europe 600 SD-KPI damit eine Outperformance von 260 Basispunkten gegenüber dem Stoxx Europe 600 ermittelt.“, so Hesse.

Zwei Paar Schuhe: Nachhaltigkeit und ESG-Integration
In Deutschland ist die ESG-Integration bei institutionellen Investoren bislang nicht weit verbreitet. Den Grund sieht Ingo­ Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Engagement bei Union Investment, in einem gewissen Schwarz-Weiß-Denken: „Auf der einen Seite gibt es nur Nachhaltigkeit, auf der anderen Seite nur konventionelle Portfolios.“ Doch seit etwa einem halben Jahr spürt er eine verstärkte Nachfrage nach ESG-Integration: „Es wird immer häufiger gefordert, dass ­Anbieter, wenn sie ein konventionelles Aktienmandat gewinnen wollen, zuvor zeigen müssen, dass sie auch Nachhaltigkeit integrieren. Und zwar nicht in dem Sinne, dass das Anlageuniversum beschnitten wird, sondern in Bezug auf Fundamental- und Bottom-up-Analysen.“ An dieser Stelle muss zwischen ESG-Integration und nachhaltigem Investieren unterschieden werden. „Bei nachhaltigen Investments braucht man eine hohe Granularität der Daten. Wir haben zum Beispiel 250 Datenpunkte, die wir pro Unternehmen abfragen. Nach diesen Kriterien bewerten wir die Unternehmen. Anschließend nehmen wir die individuellen Wünsche des Kunden und legen diese auf das Kriterien-Set der 250 Datenpunkte. Das ist Nachhaltigkeit – vereinfacht gesprochen. Bei ESG-Integration braucht es keine 250 Datenpunkte. Sie nehmen drei bis fünf Kriterien aus dem Bereich Umwelt, Soziales oder Governance, die das Geschäftsmodell bedingen. Aus diesen nicht-finanziellen Daten lassen sich Rückschlüsse auf die Risiko­situation eines Unternehmens ziehen“, erläuterte Speich.

Obwohl ERK-Vorstand Klaus Bernshausen einer der Vorreiter in Deutschland in puncto nachhaltige Kapitalanlage ist, tut er sich mit der ESG-Integration ein wenig schwer. „Nachhaltiger Geldanlage lag in der Vergangenheit eher der Gedanke des verantwortlichen und wertebasierten Investierens zugrunde. Ein Anleger hat bestimmte Werte, die er auch in der Geldanlage umsetzen will. Es ist damit eine wertebasierte Strategie, die in der Umsetzung auch schon einmal sehr emotional diskutiert wird. ESG-Integration hat – so wie ich es verstehe – weniger mit wertebasiertem Investment zu tun. Es ist eine rein rationale Strategie, die ausschließlich auf Performance-Steigerung und Risikoreduzierung ausgerichtet ist. Für uns als kirchlicher Investor kann es verständlicherweise nicht der Weg sein, einseitig nur auf die Rendite zu schauen. Wir sind werteorientiert und wollen bestimmte­ Entwicklungen auch beeinflussen und vorantreiben.“ Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, führte Bernshausen ein fiktives Beispiel an: „Wir schließen bestimmte Titel ganz bewusst aus unserem Anlageuniversum aus, weil wir an deren Gewinnen nicht partizipieren wollen. Hierzu gehören beispielsweise Rüstungsunternehmen. Nehmen wir an, eine Aktiengesellschaft würde Rüstungsgüter oder Waffen herstellen, dann würden wir diesen Titel vermutlich ausschließen. Bei ESG-Integration könnte es aber durchaus sein, dass dieses Unternehmen sogar übergewichtet wäre, weil es vielleicht ein sozialer Arbeitgeber ist, die Umwelt nicht belastet und das Portfolio des Anlegers hinsichtlich des Risikos diversifizieren würde.“ Für den ERK-Vorstand steht fest: „ESG-Integration kann passen, muss es aber nicht in jedem Fall.“ Von den Unterschieden zwischen ESG-Integration und nachhaltigen Investments abgesehen ist aus seiner Sicht jedoch eines unumstößlich: „Heute reicht es nicht mehr aus, sich nur die Bilanz ­eines Unternehmens oder die Branchenentwicklung anzuschauen. Inzwischen weiß man, dass es vielmehr auch eine Menge nicht-finanzieller Faktoren gibt, die langfristig ergebnisrelevant sind.“

Auch für die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) sind ­bestimmte Titel, wie Rheinmetall, ein No go und deshalb im Anlage­universum ausgeschlossen. Darüber hinaus arbeitet die Stiftung mit verschiedenen anderen Nachhaltigkeitsstrategien, wie Best-in-Class und Mission Investing in Form von Investments in Erneuerbare Energien.­ „Die Integration von so viel Nachhaltigkeit wie möglich ­unter der Prämisse, möglichst keine Performance abzugeben, ist ein Konsens, auf den sich sicher viele Kapitalanleger einigen können“, ist Michael Dittrich überzeugt. Der Abteilungsleiter Finanzen und Verwaltung bei der DBU sieht in der ESG-Integration deshalb eine gute Chance, das Thema Nachhaltigkeit aus seinem bisherigen Nischendasein zu befreien. Aus seiner Erfahrung weiß er zu berichten, dass die Integration von Nachhaltigkeitskriterien nicht zu geringeren Erträgen führt. Seit 2007 lässt die DBU Spezialfonds mit und ohne Nachhaltigkeitsansatz gegeneinander laufen. Die Auswertungen Ende 2010 und 2014 haben dasselbe Ergebnis gebracht: Immer hatten die nachhaltigen­ Fonds die Nase vorn. „Das sind Echtzeitergebnisse mit eigenem Geld. Anfang 2016 haben wir das Rennen zum dritten Mal gestartet. In vier Jahren werden wir dann wieder Bilanz ziehen“, so Dittrich. Er vermutet, dass die nachhaltigen Spezialfonds wieder gut abschneiden. Nachhaltigkeit ist ein Trendthema, dass sich seines Erachtens über kurz oder lang durchsetzt. Dittrichs Vision: „In zehn Jahren wird es ein Standardelement in jedem Asset Management sein, das Thema Nachhaltigkeit in irgendeiner Art und Weise zu beleuchten.“

Von Kerstin Bendix

portfolio institutionell, Ausgabe 05/2016


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