„Ich bin ein sehr neugieriger Mensch“

Hannah Helmke gewinnt 2022 den Vordenker-Award. Hier spricht sie über ihre Berufswahl und erklärt, warum institutionelle Anleger wie der BVV mit ihr zusammenarbeiten.

Frau Helmke, aus einer Shortlist von fünf Persönlichkeiten haben unsere Leser Sie mit überwältigender Mehrheit für den Vordenker-Award ausgewählt. Sie sind die erste Jungunternehmerin, die mit dem Preis geehrt wird. Auch deshalb ist dieses Ergebnis etwas ganz Besonderes. Haben Sie ein Vorbild, an dem Sie sich orientieren?

Hannah Helmke: Zunächst einmal möchte ich betonen, wie sehr mich diese Entscheidung überrascht hat. Und ich freue mich sehr über den Award. Diese ganz besondere Auszeichnung beziehe ich aber nicht auf mich allein, sondern auf das gesamte Unternehmen und unser Team.

Konkrete Vorbilder habe ich nicht. Allerdings lasse ich mich unheimlich gern inspirieren von Menschen, die in ihrem Leben die Dinge so aufgebaut haben, dass sie ihr Gleichgewicht gefunden haben. Das können erfolgreiche Menschen in Führungspositionen sein, aber auch Leute, die ihr Glück in ganz anderen Dingen abseits des Geschäftslebens gefunden haben. Ich suche diese Inspiration sehr stark und nehme sie auf, um mir persönlich auch die Latte höher zu setzen.

Mit dem Vordenker-Award ehren wir Persönlichkeiten für Verdienste um die Finanzbranche. Preisträger im Jahr 2013 war der damalige Bundesbankpräsident Dr. Jens Weidmann. Zu der Zeit engagierten Sie sich in einem Studentennetzwerk für Nachhaltigkeit und Wirtschaftsethik und absolvierten ein Praktikum am Sustainum Institut für zukunftsfähiges Wirtschaften in Berlin. Parallel dazu haben Sie die Weichen für Ihr Berufsleben gestellt. Wer oder was hat Sie dabei beeinflusst?

Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Das Unternehmertum liegt bei mir in der Familie und hat mich geprägt. Sehr früh habe ich gelernt, dass man in seinem Leben die ganz bestimmte Sache finden muss, für die man brennt und bei der die Arbeit erfüllend ist und Freude bereitet. Ich bin überzeugt davon, dass sich dann auch der wirtschaftliche Erfolg einstellt.

Während meines Studiums bin ich auf die sogenannte Kohlenstoffblase, die Carbon Bubble, aufmerksam geworden: Die Großbank HSBC und ein Klimawissenschaftler haben herausgefunden, dass 75 Prozent aller im Markt eingepreisten fossilen Brennstoffe in einer Unter-zwei-Grad-Welt nicht verbrannt werden dürfen. Das heißt, wir haben eine gigantische Finanzblase. Dieses Thema hat mich fachlich bei der ­Berufswahl ganz stark beeinflusst. Und das Gründen eines eigenen Unternehmens, auch als Teil der Berufswahl, beruht darauf, dass ich sehr klare Vorstellungen hatte, wie ich eigentlich arbeiten möchte. Das habe ich in bestehenden Unternehmen so nicht gefunden. Und wie jeder andere Berufseinsteiger stand auch ich vor der Entscheidung, einer Beschäftigung nachzugehen, die mich wirklich interessiert.

Rückblickend auf die Zeit bei Sustainum bin ich glücklich, wie sich die Dinge entwickelt haben. Und ich freue mich sehr darüber, nun in einer Reihe zu stehen mit den Persönlichkeiten, die diesen Award bereits bekommen haben.

Die Kohlenstoffblase ist ein weitreichendes Thema, nicht nur für die Menschheit, die mit Klimawandel und globaler Erwärmung konfrontiert ist, sondern auch für institutionelle Anleger, die um den Wert ihrer Assets bangen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Ich beobachte im Investment- und Finanzumfeld zwei verschiedene Strömungen. Es gibt diejenigen, die einfach nur der aktuellen Regulierung Genüge tun möchten, also eher eine „tick the box“-Haltung. Aber ­insbesondere im institutionellen Umfeld und teilweise auch im Portfoliomanagement gibt es immer mehr Organisationen, die hier vorausschauender agieren ­möchten. Gerade mit langem Anlagehorizont spielen Klimarisiken eine große Rolle.

Aber man sucht eben auch nach den Chancen der Klima-Transition. Und da wird dann eine Metrik wirklich wertvoll, die gleichermaßen von der Investment-Seite als auch von Unternehmen angewendet werden kann. Das bietet eine gemeinsame Sprache für Engagement-Prozesse.

Ihr Großvater und Ihr Vater waren Eigen­tümer einer mittelständischen Holzgroßhandlung. Welche Rolle spielt dieser ­familiäre Hintergrund in Ihrer Laufbahn?

Holz ist ein toller Rohstoff. Und es ist schön, mit Holz zu handeln. Schon als Kind habe ich in der Großhandlung meines Vaters angepackt. Für ihn war es immer etwas ganz Besonderes, wenn wieder eine Lieferung eingetroffen ist. Ich erinnere mich noch gut an den Geruch von frischem Holz und wie sorgfältig mein Vater die ­Lieferungen geprüft hat. Er hat sich die Struktur des Materials genau angeschaut und war überglücklich, wenn die Qualität hoch war. Seine Freude an der Arbeit hat mich begeistert. Gleichzeitig habe ich erfahren, was es heißt, ein Unternehmen zu führen. Das hat mich sehr stark geprägt.

2016 haben Sie in Frankfurt am Main mit Ihrem Kommilitonen Dr. Sebastian Müller die Firma right. based on science gegründet. Ihre Mitarbeiter arbeiten an einer Methodik sowie auch darauf aufbauenden Software-Tools, die darauf ausgerichtet sind, die Klimawirkung von Unternehmen, Immobilien sowie von Multi-Asset-Portfolios zu analysieren. Wie funktioniert das?

Wenn wir beispielsweise die Klimawirkung eines Unternehmens analysieren, hinter­fragen wir dessen Emissionsintensität. Das heißt, wir hinterfragen die CO₂-Emissionen im Verhältnis zu der wirtschaftlichen Leistung des Unternehmens, seiner Bruttowertschöpfung. Dabei geht es um die Frage, wie viele Emissionen die jeweilige Firma benötigt, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das Verhältnis von Emissionen zur Wertschöpfung projizieren wir bis zum Jahr 2050 unter einem Szenario, das davon ausgeht, dass alles so weitergeht wie bisher. Und diesen Emissionsintensitätsverlauf gleichen wir dann ab mit Zielpfaden für den jeweiligen Sektor des Unternehmens, die einem „unter zwei Grad“-Szenario entstammen, daraus ergibt sich die Klima-Performance. Anschließend skalieren wir diese Performance hoch auf die ganze Welt.

Anhand der Daten können wir also die Temperatur einzelner Unternehmen, von Staaten, Immobilien und Portfolios vor dem Hintergrund des berühmten 1,5-Grad-Ziels bestimmen, sodass Portfoliomanager verstehen, ob sie von der Carbon Bubble betroffen sind. Wir machen Emissionen messbar, vergleichbar und managebar.

Wer sind Ihre Kunden?

Wir sind mit Kunden aus der Realwirtschaft gestartet. Und es hat sich schnell gezeigt, dass auch Banken und Investoren enormes Interesse haben an der Information, wie konform ein Unternehmen im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel überhaupt ist. Im Laufe der Zeit haben wir unsere Tätigkeit erweitert auf Aktien, Private Equity und Anleihen bis hin zu Investmentportfolios. Und insbesondere institutionelle Investoren mit ihrem langen Anlagehorizont haben ein sehr hohes Bewusstsein für die Klimarisiken. In diesem Zusammenhang kam bei uns auch das Thema Staatsanleihen hinzu. Maßgeblich war hier das Interesse unseres Kunden BVV, des Versicherungsvereins des Bankgewerbes.

Ebenfalls von institutionellen Kunden kam der Bedarf auf, auch das Thema Real Estate in der Analyse zu implementieren. Anleger können nun also die Temperatur über verschiedene Asset-Klassen hinweg miteinander vergleichen. Das schafft Gewissheit, etwa bei der Frage, ob ich in ein Vier-Grad-Unternehmen oder in ein Drei-Grad-Immobilienobjekt investiere. Einer unserer Kunden ist zum ­Beispiel die Vonovia.

Sagt diese Gradzahl mehr aus als der Ausstoß von Kohlendioxid in Tonnen?

Vergleichen wir doch einfach den individuellen CO₂-Fußabdruck eines kleinen Unternehmens aus dem IT-Bereich mit dem Carbon Footprint eines etablierten Automobilherstellers.

Das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen.

Daran wird deutlich, dass man den absoluten CO₂-Fußabdruck verschiedener Unternehmen aus unterschiedlichen Sektoren nicht sinnvoll miteinander vergleichen kann, geschweige denn den Carbon Footprint einer Immobilie mit dem eines Unternehmens oder Staates. Doch wir übersetzen das Ganze in eine Temperatur, so dass die Investitionsmöglichkeiten vergleichbar werden. Ein Drei-Grad-Unternehmen etwa lässt sich ohne Weiteres vergleichen mit einer 4,2-Grad-Immobilie oder einer 2,6-Grad-Staatsanleihe. Die Temperatur sagt viel mehr darüber aus, wo ein Unternehmen steht, weil man es direkt in den Bezug setzen kann zum 1,5-Grad-Ziel. Das ermöglicht institutionellen Anlegern, ihre Investments anlageklassenübergreifend zu steuern. Und eine konkrete Gradzahl macht auch Unternehmen aus völlig unterschiedlichen Sektoren, etwa Softwareanbieter und Stahlhersteller, direkt vergleichbar.

Damit vermeidet man auch das Risiko, ein schlecht diversifiziertes Portfolio zu halten.

Das Ziel eines Portfoliomanagers und auch seine Verantwortung ist es, Risiko zu reduzieren und die Rendite zu erhöhen. Andernfalls würde man die treuhänderische Pflicht verletzen. Von daher ist es wichtig zu verstehen, wo Chancen und Risiken liegen.

Was war eine besonders prägende Erfahrung, die Sie als Unternehmerin gemacht haben?

Ich durfte im Jahr 2020 bei den Baden-Badener-Unternehmergesprächen einen Vortrag über die Kohlenstoffblase und die Risiken, die damit für Unternehmen einhergehen, halten. Bei diesen Gesprächen kommt die künftige Riege des deutschen Top-Managements zusammen. Und ich war sehr überrascht, wie kompetent, offen und zuversichtlich die Nachwuchsführungskräfte das Thema aufgenommen haben. Diese Gruppe von Leuten stand da mit offenen Armen und hat die Klima-Transformation als Herausforderung und Chance gesehen, um zu zeigen, was sie können. Das hat mich geprägt in meinem Optimismus und meinem Fokus, mit wem ich arbeiten muss, damit wir dieses Thema stärker in die Wirtschaft hineinbekommen. Und es hat mir vor Augen geführt, dass es diese wichtigen Vorreiter gibt.


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