China-Experte Prof. Dr. Heilmann beschreibt im Interview mit portfolio institutionell den Einfluss Pekings auf Moskau, und welche Gefahren aber auch Chancen Investments in China haben. Zu diesen geopolitischen Risiken nimmt Sebastian Heilmann am 30. Juni auf der portfolio institutionell Jahreskonferenz ausführlich Stellung.
Herr Prof. Dr. Heilmann, haben wir eine neue Weltordnung oder sind wir zurück im 19. Jahrhundert?
Die nach dem Ende des kalten Kriegs entstandene ‚Pax Americana‘ ist vorbei. Nun gibt es wieder Großmacht- und Systemkonflikte. Diese führen zu abgegrenzten Allianzen und damit auch zum Verfall der globalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das ist eine neue Weltordnung, und diese ist multipolar, wesentlich instabiler und konfliktträchtiger. Ein ähnliches Grundmuster hatten wir im 19. Jahrhundert.
Russland ist allerdings sichtbar eine Macht im Niedergang, sodass wir möglicherweise in eine Übergangsphase hin zu einer bipolaren Ordnung kommen: mit einer USA-geführten und einer China-geführten Hemisphäre. Diese Ordnung wäre voraussichtlich wieder stabiler.
Und Russland wäre dann im chinesischen Lager? Könnte Peking in der Ukraine Frieden schaffen?
China und Russland arbeiten auf höchster Ebene seit Jahren eng zusammen. China unterstützt Russland – aktuell vor allem dadurch, dass man die Sanktionen nicht mitträgt. Aber China zieht nicht in Moskau im Hintergrund die Fäden.
Für China ist die Nützlichkeit Russlands und Putins in der Auseinandersetzung mit den USA und den US-Allianzen entscheidend. Sollte Putins innenpolitische Position in Schwierigkeiten kommen, ist es möglich, dass Xi Jinping ihn fallenlässt und versucht, die Beziehungen zum Westen zu kitten. Aber diese Situation ist noch nicht in Sicht, und Chinas Verhalten gegenüber dem Westen wäre stets nur taktisch. Denn die grundsätzliche, geostrategische und systemische Rivalität zum Westen bleibt für China bestehen.
Wo wird in dieser bipolaren Ordnung der Platz der Emerging Markets sein?
Viele bedeutende Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Indonesien, Mexiko oder Saudi-Arabien haben in der UN-Versammlung nicht gegen Russland gestimmt oder beteiligen sich nicht an den Sanktionen. Sie warten ab, wie sich der Konflikt weiterentwickelt. Vorteile liegen für mich bei den Chinesen. China ist als Handelsgroßmacht mit wachsendem Technologieanteil attraktiv. In Lateinamerika haben sich in Handel und Infrastrukturausbau bereits die Gewichte zugunsten Chinas verschoben.
China wird in den Schwellenländern weiter vordrängen – aber nur so lange China es sich leisten kann, großzügig zu sein. China hat zu Hause große Probleme. Das größte unmittelbare Risiko ist der schwer angeschlagene Immobilienmarkt. Immobilien waren der Wachstumsmotor Chinas in den vergangenen 20 Jahren. Zurzeit sehen wir hier drastische Bremsspuren. Wenn China aber nur noch mit drei Prozent wachsen sollte, dann ist die Wachstumsstory kaputt. Chinas weltwirtschaftliche Expansion würde verlangsamt.
Das verändert auch die Perspektive für Investments in China.
Wir haben in China große Risiken. Neben den binnenwirtschaftlichen bestehen nun auch geopolitische Probleme. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass China für Direktinvestitionen von Unternehmen der bevorzugte Standort ist.
Diese Risiken betreffen auch den Aktienmarkt und haben sich insbesondere in Chinas Tech-Sektor bereits unerwartet und brutal materialisiert. Es gibt aber andererseits Sektoren, die durch die staatliche Industriepolitik sehr großzügig und beständig gestützt werden. Biopharma-Unternehmen etwa haben ein gewaltiges Potenzial. Peking will unbedingt chinesische Pharma-Champions in der Liga von Pfizer oder Roche haben. Massiv gefördert werden auch die gesamte Halbleiter-Wertschöpfungskette sowie Robotik und Medizintechnik.
Können denn auch nachhaltige Investoren in China eine Nische finden?
Die staatliche Industriepolitik beinhaltet sehr gezielte, langfristige Programme zur Förderung von Klima- und Umwelttechnologien. Peking nimmt die Klimafrage sehr ernst und sieht darin zugleich eine neue Wachstumsindustrie.
Ob aber nun fordernd wie im Tech-Sektor oder fördernd wie bei Umwelttechnologien: Überall findet sich der Einfluss eines sehr autoritären Staates, der für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.
Das ist ein fundamentales Dilemma. China hat ein politisches System, das mit unseren Wert- und Ordnungsvorstellungen nicht kompatibel ist.
Politische Konflikte schaffen große Schwierigkeiten für China-Investments. Es ist möglich, dass die USA Investments in China sanktionieren und für sicherheitsrelevante Branchen komplett untersagen werden. Die Wahrscheinlichkeit hierfür steigt sehr stark, wenn China Waffen an Russland liefern oder Taiwan militärisch angreifen sollte. Dann wären Investitionen in China alles andere als nachhaltig, sondern geopolitisch akut gefährdet.
Grundsätzlich gilt im aktuellen Kontext: China-Investoren müssen die sich international aufbauenden Konflikte fest im Blick behalten und sich so positionieren, dass sie kurzfristig aus dem chinesischen Markt aussteigen können, wenn die Lage eskaliert.
Prof. Dr. Sebastian Heilmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Regierungslehre/Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier und Referent auf der portfolio institutionell Jahreskonferenz.